Donnerstag, 27. November 2008

Organisation zwei plus, Kommunikation vier minus

Die FIDE-Offiziellen loben jedes Turnier, bei dem sie nicht gerade behandelt werden wie 2004 in Calvia, über den grünen Klee. Davor muss man die Organisatoren in Dresden in Schutz nehmen. Sie haben die Olympiade wirklich sehr ordentlich hingekriegt. Die Hotels waren prima, die Akkreditierung verlief ohne Chaos. Alles begann pünktlich bis auf eine Runde, deren Verschiebung aber frühzeitig angekündigt wurde. Natürlich stehen nicht überall so riesige Hallen zur Verfügung stehen wie in Turin, was so ziemlich das einzige ist, was die vorige Olympiade der in Dresden voraus hatte. Dass die Organisatoren aber auch glaubten, sich ständig selbst preisen zu müssen, war etwas fahrlässig, wies es doch die Aufmerksamkeit auf einige lässliche Mängel.

Nachdem bei der Bewerbung und in der Konzeption noch geklotzt worden war, wurde nämlich gespart und zwar am Essen, das den Spielern satzungsgemäß vorgesetzt werden muss: Der Schachblogger hat es in der "World of Chess" getestet. Es war nicht nur an diesem Abend erbärmlich, wie Gaumenzeugen bestätigten. Viele Spieler konnten nicht zu dem Einheitsbrei greifen, weil er das falsche Fleisch enthielt oder unzureichend gewürzt war. Von all den Klagen wusste der verantwortliche Bürgermeister bei seinem Auftritt freilich nichts, und die Journalisten waren zu höflich, um deutlich nachzufragen. Nun ja, der Schachblogger hat sich sagen lassen, dass die Italiener, wirklich die Italiener noch schlechter gekocht haben.

Die Veranstalter haben mit allerlei Zahlen um sich geworfen, die von Mal zu Mal nicht übereinstimmen mussten, was diejenigen zur Vorsicht rief, die numerische Angaben nicht für flexible Fakten halten. Dem ZEIT-Reporter lieferten die Zahlenspiele die Basis für ein schönes Feuilleton über das welthaltige Ereignis . Und Jürgen Daniel hat die vermeintliche Rekordaufmerksamkeit im Netz annotiert.

Im Foyer versuchte Klaus Bischoff als Einzelkämpfer die Highlights aus den über 500 Partien täglich vor meist weit über Hundert Zuhörern herauszupicken, wobei er sich sehr achtbar schlug. Welch ein Kontrast aber zu Bonn, wo sich drei deutsche Kommentatoren für die Zuschauer am Ort und noch einmal vier Internetkommentatoren jeweils ganz einer einzigen laufenden Partie widmeten. Aber Schach verständlich zu machen und das Beste aus dem Gebotenen herauszuholen, war Dresden offenbar nur Peanuts wert. Ein Skandal eigentlich.

Als relativer Fehlgriff erwies sich das Engagement von Zsuzsa Polgar als Moderatorin der so genannten Pressekonferenzen. Die ungarisch-amerikanische Exweltmeisterin hackelte zwar alles in allem fleißig, wobei sie auch ihren Zweitgatten Paul Truong einspannte. Als Moderatorin nutzte sie aber jede Gelegenheit, über sich selbst zu reden. Polgar stellte Fragen, die kein ernsthafter Journalist stellen würde, bis die Geduld dieser Spezies so erschöpft war, dass keiner mehr da war, eine ernste Frage zu stellen, sondern überwiegend Fans vor dem Podium saßen, die sich wegen des freien Eintritts als "Media" akkreditiert hatten (und damit eine von den Organisatoren gerne zitierte Zahl nach oben trieben). Dass die Goldmedaillengewinner aus Armenien in der letzten Presserunde bereits nach sechs Minuten Fragen der Reporter beantworten durften, war eine in diesem Zusammenhang schon lobenswerte Ausnahme (siehe Film bei Chessvibes).

Eine Pressekonferenz mit drei Vertretern der Organisation und dem FIDE-Präsidenten drohte nach bereits über einer Stunde Dauer vollends zur Farce zu werden. Nach drei Fragen an Iljumschinow wurde ein Zettel an Polgar gereicht, den Ball zum OK zurück zu spielen, obwohl einige Journalisten (darunter auch der Schachblogger) Illu grillen wollten. Dass Polgar wiederholt nach diesen Runden um Applaus bat und von den statistisch willkommenen Medianern auch erhielt, erinnerte daran, wo Presserunden regelmäßig mit verordnetem Beifall endeten, nämlich im Sozialismus.

Es hätte sich bezahlt gemacht, wenn die Organisatoren einen seriösen Journalisten mit Olympiadeerfahrung als Berater engagiert hätten. Als jemand, der im Presseraum arbeitete, hätte ich mir gegen Ende der Runden einen verlässlichen Überblick über vorliegende Resultate gewünscht. Stattdessen bastelten wir immer wieder einzeln Tabellen zusammen, wobei nicht gerade half, dass die Übertragung des öfteren nicht nur falsche Züge sondern auch falsche Ergebnisse zeigte, die auch nach Tagen nicht unbedingt korrigiert wurden.

Die Olympiadezeitung enthielt eine englische Seite, die immerhin aus beiden Wettbewerben je eine Partie des Tages präsentierte. Ansonsten ging sie an ihrer Zielgruppe, den ausländischen Spielern, Delegierten und Besuchern, aber weitgehend vorbei. Auf den deutschen Seiten herrschte viel eitel Sonnenschein von Uhlmanns Tagebuch bis zur Porträtserie der unbezahlten Helfer. Sebi Siebrechts Artikel waren der einzige Lichtblick, insofern sie hier und da interessante Informationen und Zitate enthielten.

Seit Monaten wurden Journalisten, die den Fehler begingen, sich frühzeitig für diese Veranstaltung zu interessieren, mit als Presseinformation deklariertem Marketing zugeschüttet. Jeder Promi, der als Olympiadebotschafter vom Aufmerksamkeitskuchen mitnaschen wollte, war eine Aussendung wert ebenso wie jedes geplante Seitenevent, von denen es unzählige gab. Meine Anregung, unterschiedliche Verteiler aufzubauen, wurde ignoriert.

Eine Aufstellung der Finanzierung, also was von echten Sponsoren, was von eigentlich städtischen Firmen und was direkt aus öffentlichen Kassen kam, habe ich in all der Masse so genannter Informationen nirgends gesehen. Vielleicht lag ich mit meiner Schätzung, drei Millionen direkt und indirekt vom Steuerzahler zu hoch. Besser wissen konnte ich es zumindest aufgrund der so genannten Presseinformationen nicht.

(Ergänzung:) Bis zur Mitte des Turniers wurden die Stellungen aller vier Kämpfe, die auf der Bühne stattfanden, auf der Leinwand übertragen (so sah das aus). Ab dann nur noch jeweils ein Kampf abwechselnd, das heißt der Spitzenkampf des Tages und der der deutschen Herren war jeweils nur ein Viertel der Zeit für die Zuschauer zu sehen. Oberpeinlich.

(Ergänzung:) Ich finde ja, eine sportlich so spannende Schacholympiade hätte aufgrund der Vielzahl der Akteure und Themen erheblich mehr mediale Aufmerksamkeit gehabt als ein frühzeitig entschiedener WM-Zweikampf zwischen den nicht unbedingt zwei Besten. Meinem Eindruck nach hat die Bonner WM die Dresdner Olympiade in dieser Beziehung klar hinter sich gelassen.

Übervermarktet und unterverkauft, das war die Schacholympiade 2008.

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