Die sechste Runde des Londoner Opens, für mich war es dank zwei Byes (kampflosen halben Punkten zwecks Genesung und Erfüllung familiärer Pflichten) erst die vierte, begann ziemlich schlecht für mich. Ich meine nicht die Auslosung gegen den Elobesten Jon Ludvig Hammer. Gegen solche Spieler möchte man ja seine Chance kriegen, bevor sie die 2700 überschreiten. Mit etwas Glück kann man dann später sagen: "Karjakin? Pah, den habe ich mal geschlagen..."
Nein, ein Zugausfall der Overground, praktisch die Londoner S-Bahn, bedeutete statt fünf Minuten vor Rundenbeginn 25 Minuten später einzutreffen. Ich habe dann noch heroisch versucht, mit U-Bahn und Bus von Hampstead nach West Kensington zu kommen, was 70 Minuten dauerte und meine Verspätung am Brett auf 35 Minuten anschwellen ließ. Mit smart eingesetzten 12 bis 15 Pfund für Teilstrecken im Taxi wäre es vermutlich auf maximal zehn Minuten einzuschränken gewesen, aber dazu müsste ich mich besser auskennen oder einen Stadtplan dabei haben. Die Overground-Mitarbeiter sind in der Beziehung nicht die geringste Hilfe.
Gott sei Dank wird in London nicht nach ÖSB- oder FIDE-Regeln gespielt, und ich wurde nicht um eine interessante Partie gebracht.
Stefan Löffler - Jon Ludvig Hammer
1. d4 Sf6 2. Lg5 e6 3. e4 h6 4. Lxf6 Dxf6 5. c3 d5 6. Sd2 c5
Tiefe Vorbereitung? Nein, das hatte er mal seinen alten Schul- und Trainingskameraden Magnus bei der Schacholympiade spielen sehen, wie er mir nach der Partie sagte. Mein nächster Zug sieht völlig natürlich aus, ist aber laut Chessbase- Onlinedatenbank eine Neuerung.
7. Lb5+ Ld7 8. Lxd7+ Sxd7 9.exd5 cxd4 10.cxd4
Hier dachte ich eine Weile über 10.Se2 nach. Sowohl 10...dxc3 11.Sxc3 De5+ (oder 11...exd5 12.0-0 Sb6 13.a4) 12.Sde4 f5 als auch 10...d3 11.Se4 Dg6 12.Dxd3 0-0-0 verspricht ein wildes Gehacke. Der Textzug schien mir sicherer, weil ich nur 10...exd5 11.Se2 nebst 0-0, Sf3, Sc3 und Db3 mit problemlosem Spiel für Weiß auf der Rechnung hatte, nicht aber dieses Bauernopfer:
10...Dxd4! 11. dxe6 Sc5 12. exf7+ Kxf7 13. Df3+ Kg8 14. Se2 Te8 15. Td1
Ich war mir nicht sicher, ob ich 15...Dd3 mit 16.h4 oder 16.Sb1 beantworten sollte und hoffte auf einen kleinen Vorteil, als er wieder einen von mir gar nicht beachteten Zug machte, den Hammer, wie er hinterher zugab, auch erst hier sah. Dabei ist es der natürlichste von der Welt. Statt einen Bauern weniger hat er gleich einen mehr.
15...Dxb2 16. O-O Dxa2 17. Sc3 Df7 18. Dg3
Immerhin habe ich dank des unentwickelten Königsflügels und der Schwäche von g6 Kompensation. Sein nächster Zug war ein Fehler, war Hammer hinterher sicher, aber etwas Besseres weiß ich auch nicht.
18...h5 19. Sf3 Th6 20. Sg5 Dc4
Hammer hatte mich durch sein schnelles Spiel und meine Verspätung schon runter auf elf Minuten, und ich blickte nicht alles durch. In meiner Hauptvariante klaffte ein fürchterliches Loch - siehe unten. Hier musste ich 21. h4! spielen, wonach 22.Df3 eine starke Drohung wird. 21...Dg4 ist wegen 22.Dc7 nicht zu befürchten. Ich hatte bei 21.Df3 gesehen, dass auf 21...Te5 22. h4 stark ist.
21.Df3? Le7 22. Td4 Db3 23. Tb1?
Letzte Chance für 23. h4, aber Schwarz hat auch dann Vorteil.
23...Lxg5
Natürlich, die Grundreihe. Materiell hat mein Schnitzer nur einen Bauer eingestellt, aber auch die Initiative. Ich habe keine echte Gegenwehr mehr geschafft.
24. h4 Tf8 25. Dg3 Lxh4 26. Txh4 Df7 27. Tbb4 Tg6 28. De3 Sd3! 29. Tb5 Dxf2+ 30. Dxf2 Txf2 0-1
Nachtrag: Hammer hat das Open mit einem Punkt Vorsprung gewonnen.