Tod eines Refuseniks
Kennen gelernt habe ich Alexander Wojtkiewicz im April 1988 in Warschau. Es herrschte noch die Kommunistische Partei, und der erste Preis in dem offenen Turnier lag in der Größenordnung von 300 oder 400 Euro. Alex war 25 und elolos, doch sein Spiel ließ keinen Zweifel, dass er binnen kurzer Zeit Großmeister würde: Er gewann das Turnier vor zwei Dutzend Titelträgern mit Vorsprung.
Alex war erst kurz zuvor aus dem damals noch sowjetischen Lettland nach Polen übersiedelt, wo er Verwandte hatte. Er trug ein Foto bei sich, das ihn mit kahl geschorenem Kopf zeigte. In gebrochenem Englisch erklärte er mir, dass er sich in der UdSSR jahrelang versteckt hatte, um nicht zur Armee eingezogen zu werden. Selbst bei Schachturnieren ließ er sich vorsorglich nicht mehr blicken. Schließlich wurde er doch erwischt und ging in den Knast. Dass er nach gut einem Jahr amnestiert wurde, verdankte er den Entspannungsgipfeln zwischen Gorbatschow und Reagan. Damals hatte er schwerlich eine andere Wahl, als sich als Friedensaktivist auszugeben. Dass er ein Refusenik war, der allein für seine persönliche Freiheit kämpfte, begriff ich später.
Zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung rief Alex an. Ob er einige Tage bei mir in Berlin bleiben könne. Es war wenige Monate nach dem Fall der Mauer. Völlig verändert hatte sich auch der Mann. Er trug einen Vollbart, schicke Klamotten und hatte auch seine Schüchternheit abgelegt. Meine Gastfreundschaft betrachtete er als selbstverständlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ein Partiechen geblitzt oder er etwas gezeigt hätte. Wir sahen uns ohnehin kaum in den paar Tagen. Selbst wenn ich erst gegen eins oder zwei zur Uni musste, schlief Alex noch seinen Rausch aus. Die Nächte verbrachte er zwischen dem Schachcafé und dem nahe gelegenen Spielcasino.
Ein paar Jahre später hörte er auf, für Polen zu spielen. Von Andrej Filipowicz hörte ich, dass der Verband alles mögliche für ihn getan, aber wenig zurück bekommen habe. Mit der Übersiedlung Krasenkows verlor Alex seinen Status als polnische Nummer eins. Dafür reiste er quer über den Globus. Auf allen Kontinenten hat er Turniere gespielt - und immer öfter in den USA, die Ende der Neunzigerjahre zu seiner dritten Heimat wurde.
Wojt, wie er nun genannt wurde, war einer der aktivsten und erfolgreichsten Spieler auf dem US-Circuit. In seinen Händen war 1.Sf3 keine harmlose Eröffnung, sondern konnte früh zu scharfen Verwicklungen führen. Mit Schwarz bevorzugte er Najdorf. Seine Klasse im Blitzen deutete an, wie viel weiter er es hätte bringen können, wäre seine Entwicklung nicht mit 19 für einige Jahre unterbrochen worden. 1999 half er Alexander Chalifman, den er wohl von Jugendturnieren kannte, in Las Vegas den Knockout um die FIDE-WM zu gewinnen.
Vor einigen Jahren ließ er sich in Baltimore nieder und trat dem Schachteam der University of Maryland Baltimore County bei. Um in den Genuss eines mit 15 000 Dollar dotierten Stipendiums zu kommen, nahm Alex mit vierzig noch ein Studium auf. Mit drei Großmeisterkollegen gewann er die amerikanische Hochschulmeisterschaften, doch durch schlechte Noten verspielte er sein Stipendium. In den Open verdiente er freilich besser. Allein im ersten Halbjahr 2006 sammelte er sechs erste Plätze, zuletzt beim hoch dotierten World Open in Philadelphia.
Laut Augenzeugen wirkte er gesundheitlich angeschlagen, aber niemand, vielleicht nicht einmal er selbst, rechnete damit, wie ernst es um den 43jährigen stand. Vorigen Freitag ist Alex in Baltimore gestorben - anders als zunächst berichtet nicht an Leberversagen sondern an schweren inneren Blutungen, die bei sofortiger Behandlung gestoppt hätten werden können.
Alex war erst kurz zuvor aus dem damals noch sowjetischen Lettland nach Polen übersiedelt, wo er Verwandte hatte. Er trug ein Foto bei sich, das ihn mit kahl geschorenem Kopf zeigte. In gebrochenem Englisch erklärte er mir, dass er sich in der UdSSR jahrelang versteckt hatte, um nicht zur Armee eingezogen zu werden. Selbst bei Schachturnieren ließ er sich vorsorglich nicht mehr blicken. Schließlich wurde er doch erwischt und ging in den Knast. Dass er nach gut einem Jahr amnestiert wurde, verdankte er den Entspannungsgipfeln zwischen Gorbatschow und Reagan. Damals hatte er schwerlich eine andere Wahl, als sich als Friedensaktivist auszugeben. Dass er ein Refusenik war, der allein für seine persönliche Freiheit kämpfte, begriff ich später.
Zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung rief Alex an. Ob er einige Tage bei mir in Berlin bleiben könne. Es war wenige Monate nach dem Fall der Mauer. Völlig verändert hatte sich auch der Mann. Er trug einen Vollbart, schicke Klamotten und hatte auch seine Schüchternheit abgelegt. Meine Gastfreundschaft betrachtete er als selbstverständlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ein Partiechen geblitzt oder er etwas gezeigt hätte. Wir sahen uns ohnehin kaum in den paar Tagen. Selbst wenn ich erst gegen eins oder zwei zur Uni musste, schlief Alex noch seinen Rausch aus. Die Nächte verbrachte er zwischen dem Schachcafé und dem nahe gelegenen Spielcasino.
Ein paar Jahre später hörte er auf, für Polen zu spielen. Von Andrej Filipowicz hörte ich, dass der Verband alles mögliche für ihn getan, aber wenig zurück bekommen habe. Mit der Übersiedlung Krasenkows verlor Alex seinen Status als polnische Nummer eins. Dafür reiste er quer über den Globus. Auf allen Kontinenten hat er Turniere gespielt - und immer öfter in den USA, die Ende der Neunzigerjahre zu seiner dritten Heimat wurde.
Wojt, wie er nun genannt wurde, war einer der aktivsten und erfolgreichsten Spieler auf dem US-Circuit. In seinen Händen war 1.Sf3 keine harmlose Eröffnung, sondern konnte früh zu scharfen Verwicklungen führen. Mit Schwarz bevorzugte er Najdorf. Seine Klasse im Blitzen deutete an, wie viel weiter er es hätte bringen können, wäre seine Entwicklung nicht mit 19 für einige Jahre unterbrochen worden. 1999 half er Alexander Chalifman, den er wohl von Jugendturnieren kannte, in Las Vegas den Knockout um die FIDE-WM zu gewinnen.
Vor einigen Jahren ließ er sich in Baltimore nieder und trat dem Schachteam der University of Maryland Baltimore County bei. Um in den Genuss eines mit 15 000 Dollar dotierten Stipendiums zu kommen, nahm Alex mit vierzig noch ein Studium auf. Mit drei Großmeisterkollegen gewann er die amerikanische Hochschulmeisterschaften, doch durch schlechte Noten verspielte er sein Stipendium. In den Open verdiente er freilich besser. Allein im ersten Halbjahr 2006 sammelte er sechs erste Plätze, zuletzt beim hoch dotierten World Open in Philadelphia.
Laut Augenzeugen wirkte er gesundheitlich angeschlagen, aber niemand, vielleicht nicht einmal er selbst, rechnete damit, wie ernst es um den 43jährigen stand. Vorigen Freitag ist Alex in Baltimore gestorben - anders als zunächst berichtet nicht an Leberversagen sondern an schweren inneren Blutungen, die bei sofortiger Behandlung gestoppt hätten werden können.
schachblogger - 19. Jul, 11:06