Broterwerb in Plowdiw

Plowdiw ist nicht der schlechteste Ort, um die dritte Ausgabe von Matten zu lesen. Zu den Highlights der halbjährlich auf Niederländisch erscheinende literarische Schachzeitschrift zählt neben einer Recherche über Max Euwes Kriegsjahre und dem Tagebuch, das Loek van Wely als Sekundant Kramniks während der WM in Mexiko City führte, ein fantastisches Stück von Dirk Poldauf. „Bulgarische Abenteuer eines DDR-Bürgers“ beschreibt die Schachreisen, die er Ende der Achtzigerjahre nach Warna, Primorsko und eben Plowdiw unternahm. 1987 unterlag Poldauf einem Zwölfjährigen namens Wesselin Topalow, im Jahr darauf schlug er mit Mühe die achtjährige Antoaneta Stefanowa, um sich einige Monate später einem gerade zwölf gewordenen Mädchen geschlagen geben zu müssen, Judit Polgar.

Der heutige Redakteur der Zeitschrift Schach erinnert sich, wie arm er sich an der auch von „Bundis“, also Westdeutschen frequentierten Schwarzmeerküste vorkam, wo alles dreimal so teuer war wie in der DDR. Mit mitgebrachten Garde-Uhren und beim Blitzschach wurde mühsam die Reisekasse aufgebessert. Notfalls wurde die mitgebrachte HO-Salami eben in noch dünnere Scheiben geschnitten, damit sie ein paar Tage länger reicht. An einem Abend in Plowdiw wussten er und seine Reisekameraden Karsten Volke und Hans-Jürgen Meissner allerdings keinen anderen Weg mehr, an etwas Beißbares zu kommen, als im Novotel, dem gleichen Hotel, in dem nun die EM läuft, einen Spaziergang durch den schon gedeckten Speisesaal zu unternehmen und belegte Brote in eine mitgebrachte Aktentasche zu packen.

Dabei hätten es sich die DDR-Schachspieler leicht machen können, hätten sie sich an dem üblichen Punktehandel beteiligt. Selbst für Remisen wurden Dollar oder Lewa angeboten. Anscheinend lief kein Einladungsturnier ohne Schiebereien ab. Auf einem Turnier, das offensichtlich keinen anderen Zweck erfüllte, als dem aus Jugoslawien stammenden Schweizer Geschäftsmann Miroslav Desancic zum IM-Titel zu verhelfen tat sich Poldauf mit einem Schweizer, einem Schweden und einem Franzosen zu den Unkorrumpierbaren zusammen. Poldauf schämt sich, dass es ihm als einzigem aus der Gruppe nicht gelang, Desancic zu schlagen. In der letzten Runde wartete auf diesen allerdings ohnehin ein (von Poldauf nicht genannter) Deutscher, der mit Desancic in der Schweiz zusammen spielte und ihm notfalls den fehlenden Punkt zu überlassen angekündigt hatte.

Das erinnert mich an ein IM-Turnier, das ich selber 1989 im tschechischen Hradec Kralove spielte. Ein nach Italien ausgewanderter Russe namens David Zilberstein lag auf IM-Kurs. Alle außer mir hatten mitgekriegt, dass Palatnik und Jefimow ihm jeweils den ganzen Punkt geschenkt hatten, und so mancher hoffte, dass ich Zilberstein, der in der letzten Runde ein Remis gegen mich brauchte, die Sache verderben würde. Dabei hätte mich schon stutzig machen müssen, dass mir Jefimow im Jahr davor, als ich in Warschau ein Weißremis für meine erste IM-Norm brauchte, einen Mittelsmann schickte, der mir den halben Punkt für fünfzig Dollar anbot. Damals hatte ich abgelehnt, aber Zilbersteins Remisgebot nahm ich, weil es für mich um nichts mehr ging und ich Schwarz hatte, an. Erst danach klärten mich meine Mitspieler auf. Jahre später entdeckte ich, dass Zilberstein mit 2500 in der italienischen Eloliste ganz vorne lag und auch Jefimow den Verband gewechselt hatte und zwischenzeitlich selbst für Italien gemeldet war.

Nun sehe ich Jefimow in Plowdiw wieder. Inzwischen startet er für Monaco. Warum? Weil er eben die Föderation noch einmal gewechselt hat, sagt er mir am Cafétresen. Darauf habe ich ihn gefragt, was aus Zilberstein, der seit vielen Jahren keine gewertete Partie mehr gespielt hat, geworden sei. Der sei tot. In der FIDE-Liste steht er noch immer.

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