Samstag, 23. September 2006

Kehrt Kok zurück?

Vielleicht ist der bei der FIDE-Wahl unterlegene Bessel Kok doch noch nicht für das Schach verloren. Laut einem Bericht der niederländischen Tageszeitung „Trouw“ hat ihn während einer Geschäftsreise in die Ukraine aus heiterem Himmel ein Anruf von Iljumschinow ereilt. Iljumschinow fragte den langjährigen Telekommanager, ob er bereit sei, das Spitzenschach und den WM-Betrieb für die FIDE zu organisieren. Kurz entschlossen stieg der Kalmücke in seinen Privatjet und traf Kok in Kiew. Der nannte dort seine Bedingungen, unter anderem, dass keine FIDE-Funktionäre im operativen Geschäft dabei sein dürfen. Iljumschinow zeigte sich einverstanden. Das Treffen fand vor acht Tagen statt.
Zu Beginn des WM-Kampfes tagt in Elista der FIDE-Vorstand. In Kürze dürften wir erfahren, ob Iljumschinow Wort hält und im Kreise seiner Speichellecker und Spesenritter den Beschluss durchboxt, ein Organisationsbüro für das Profi- und WM-Schach unter Koks Leitung in Amsterdam einzurichten.

Nachtrag: In einer Mitteilung der FIDE heißt es nun "he (Iljumschinow) had decided to establish a company which can serve as a commercial arm of FIDE. A commercial license agreement between the Company and FIDE will be drafted and dealt with in the Presidential Board Meeting in December 2006, in Amsterdam, the Netherlands." Koks Name ist nicht erwähnt, aber etwas ist auf dem Weg.
Weniger Hoffnung weckt der übrige Teil der FIDE-Mitteilung. Es gibt keine Ausrichter für die Kandidatenkämpfe gibt und nur einen einigermaßen dämlichen Vorschlag, die 16 Qualifizierten im April 2007 ein Rundenturnier in Elista spielen zu lassen. Da wäre es schon praktischer, wie Mig Greenguard zurecht ausführt, einfach zwei Runden Matches spielen zu lassen, um vier Teilnehmer der nächsten WM (neben Anand, Swidler, Morosewitsch und dem Sieger von Elista) für die nächste WM, die zumindest momentan noch wieder als Achterturnier geplant ist, zu ermitteln.

Mein Gott, Toppy

Spannung brachte die erste WM-Partie, aber nicht das korrekte Ergebnis. Kramnik verpasste im damenlosen Mittelspiel eine Chance auf einen kleinen Vorteil und geriet in die Defensive. Topalow hatte mehrmals die Möglichkeit ein Remis durch Zugwiederholung zu forcieren, kämpfte trotz Minusbauer weiter... aber sehen Sie selbst:

Kramnik - Topalow, 1.WM-Partie
1.d4
Also erstmal keine Lust auf den Sizilianer.
1…Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.g3
Keine Überraschung. Voriges Jahr hat er Topalow mit Katalanisch in Dortmund besiegt, nur spielte der Bulgare damals (wie Kramnik selbst früher) 4...Lb4+ 5.Ld2 Le7 6.Lg2 0-0 7.0-0 c6. Nun hat er sich etwas ausgedacht, was mehr Gegenspiel verspricht:
4…dxc4 5.Lg2 Lb4+
Das ist erst in jüngerer Zeit etwas in Mode gekommen.
6.Ld2 a5 7.Dc2 Lxd2+ 8.Dxd2!
Die Idee ist, auf 8...b5 9.Dg5 zu haben - und ansonsten den Bauern mit 9.Sa3 zurückzuholen. Nach 8.Sbxd2 b5 9.a4 c6 erhält Weiß mit 10.b3 cxb3 11.Sxb3 gerade so eben Kompensation für den Bauern, aber das ist natürlich nicht nach Kramnks Geschmack.
8...c6
Auf den ersten Blick sieht nun 9.Se5 gut aus, doch nach 9...b5! 10.Sxc6 Dc7 (10…Db6? 11.Se7 Lb7 12.Sc8 büßt die Qualität ein) 11.Dg5 hat Schwarz das teuflische 11...Sxc6! 12.Dxg7 Ke7 13.Dxh8 Lb7 14.Dg7 Sxd4, und 11.Se5 oder 11.Sxb8 verspricht Weiß nichts.
9.a4 b5
Sonst folgt einfach Sa3xc4 mit Vorteil.
10.axb5 cxb5 11.Dg5 0-0 12.Dxb5
Das war alles kürzlich in der Russischen Mannschaftsmeisterschaft in einer Partie Grischtschuk – Moisejenko auf dem Brett. Schwarz zog 12...Sa6 13.Dxc4 (13.Dxa5? Sc7) 13...Sb4 mit Kompensation. Topalow hat ein anderes Opfer im Sinn:
12...La6!?

KramTop0

Nach 13.Dxa5 Lb7! 14.Dxd8 Txa1 ist nun weder 15.Db6? Txb1+ 16.Kd2 c3+! noch 15.Dc7 Txb1+ 16.Kd2 Txb2+ befriedigend für Weiß. Bleibt die sofortige Rückgabe der Dame mit 15.Dxf8+ Kxf8 16.0-0, aber mit 16...Ta2 holt sich Schwarz den Bauern zurück, und seine aktive Figurenstellung kompensiert die Schwäche des c-Bauern, der freilich auch stark werden kann. Kein Wunder lässt sich Kramnik erst gar nicht darauf ein:
13.Da4 Db6 14.0-0 Dxb2 15.Sbd2 Lb5 16.Sxc4 Lxa4 17.Sxb2 Lb5
Ist der schwarze a-Bauer stark oder schwach? Kann Weiß die geschwächten schwarzen Felder nutzen?
18.Se5 Ta7 19.Lf3 Sbd7 20.Sec4
Wirkt passiv, aber nach 20.Sc6 Lxc6 21.Lxc6 Tc8 hat Schwarz nichts zu fürchten. Besser sieht 20.Sxd7 Sxd7 21.Tfc1 aus.
20...Tb8 21.Tfb1 g5!
Bravo! Toppy schraubt das Risiko höher.
22.e3 g4 23.Ld1 Lc6 24.Tc1 Le4 25.Sa4 Tb4 26.Sd6 Lf3 27.Lxf3 gxf3
Dieser Bauer soll der Pfahl im Fleisch des Weißen sein, wenn er sich am a-Bauern vergreift.
28.Sc8 Ta8 29.Se7+ Kg7 30.Sc6 Tb3 31.Sc5 Tb5 32.h3 Sxc5 33.Txc5 Tb2 34.Tg5+
Auf 34.Se5 Se4 35.Tc7 nimmt Schwarz nicht auf f2 sondern zieht das teuflische 35...Kg8! mit der Pointe 36.Txf7 Sg5!
34...Kh6
Hier steht der König ab vom Schuss. Mit gefällt 34...Kf8 besser.
35.Tgxa5 Txa5 36.Sxa5 Se4 37.Tf1 Sd2 38.Tc1 Se4 39.Tf1
Remis? Nein! Die Zugwiederholung kann er später immer noch haben, sagt sich Toppy und kämpft weiter.
39…f6 40.Sc6 Sd2 41.Td1 Se4 42.Tf1 Kg6
Der 40.Zug ist vorbei. Hier hat Topalow wieder genügend Bedenkzeit. Trotz des Minusbauern entschließt er sich zu kämpfen. Will er 43.d5 provozieren?
43.Sd8 Tb6?!
Entlässt Weiß aus der Umklammerung. Was spricht gegen 43...e5?
44.Tc1 h5 45.Ta1 h4 46.gxh4 Kh5 47.Ta2 Kxh4 48.Kh2
Jetzt müsste nur noch der schwarze Turm auf die g-Linie und die Sache wäre geritzt, doch der Weg ist versperrt. So scheitert 48...e5? trivial an 49.dxe5 fxe5 50.Ta4
48...Kh5 49.Tc2 Kh6 50.Ta2 Kg6 51.Tc2 Kf5 52.Ta2 Auch Kramnik mag sich nicht rühren.
52...Tb5 53.Sc6 Tb7 54.Ta5+ Kg6 55.Ta2 Kh5
Genug laviert. Nun, da der schwarze König weit ab steht, handelt Kramnik.
56.d5 e5
Nach 56...exd5 57.Sd4 fiele der wichtige f-Bauer.
57.Ta4

kramtop1

Gerade noch remis hält nun 57...Sxf2 58.Kg3 e4!! 59.Kxf2 Tb2+ 60.Kf1 (60.Kg3?? Tg2+ 61.Kf4 f2 62.Ta1 Tg1) 60…Tb1+. Sieht er es? Mein Gott, Toppy, nein!
57…f5?
Nun bricht die schwarze Stellung auseinander.
58.Sxe5 Tb2 59.Sd3 Tb7
Toppy kämpft noch ein bisschen, aber das baldige Fallen des f-Bauern entscheidet.
60.Td4 Tb6 61.d6 Sxd6 62.Kg3 Se4+ 63.Kxf3 Kg5 64.h4+ Kf6 65.Td5 Sc3 66.Td8 Tb1 67.Tf8+ Ke6 68.Sf4+ Ke5 69.Te8+ Kf6 70.Sh5+ Kg6 71.Sg3 Tb2 72.h5+ Kf7 73.Te5 Sd1 74.Se2 Kf6 75.Td5 1-0

Ein glückliches 1:0 also für Kramnik und eine Parallele zu seinem Titelkampf vor zwei Jahren gegen Leko, der ebenfalls in der ersten Partie den Zeitpunkt, remis zu machen, verpasste.

PS: Jede Partie werde ich hier aber nicht analysieren...

Wer soll gewinnen?

Magnus Carlsen tippt* auf Kramnik. Weil er nämlich wieder in Form sei und eine gute Bilanz gegen Toppy hat. Für die Bundesliga-Website habe ich noch ein paar weitere Leute gebeten, einen Tipp abzugeben. Wenn man die zusammen mit den Begründungen liest, ergibt sich: Der Kopf sagt Kramnik, das Herz Topalow.

Mir geht es ja selbst so. So glanzvoll, kämpferisch und ideenreich wie Wesko die Szene zuletzt beherrscht hat, wäre es einfach ungerecht, wenn er den Titel nach knapp einem Jahr schon wieder abtreten müss. Eigentlich hätte er „draw odds“ verdient, also den Titel im Falle eines 6:6. Andererseits soll derjenige gewinnen, der in Elista das bessere (und hoffentlich auch schönere) Schach zeigt.

Und es gibt ja einige Kleinigkeiten, die für Kramnik sprechen. Wenn er siegt, ist ziemlich sicher, dass ein Weg gefunden wird, Toppy in die nächste WM zu schleusen. Umgekehrt ist das zwar nicht auszuschließen, aber längst nicht so wahrscheinlich. Ein Sieg von Kramnik ist auch eine wesentliche Voraussetzung, dass der Computerschaukampf Ende November, Anfang Dezember in Bonn Beachtung findet. Sonst vertschüsst sich die RAG wohlmöglich sofort frustriert wieder vom Schachsponsoring. Zudem hielte Kramnik als Weltmeister etwas Distanz zur FIDE und würde nicht jeden Blödsinn mitmachen. Eine Titelverteidigung gegen den (ungefähr Weltranglistenzwanzigsten) Radschabow im nächsten April, ein Match, das die Welt nicht braucht, ist mit ihm nicht zu machen, während Toppys Manager Danailow mit den Aseris handelseinig scheint.

Aber statt schon über die schachpolitischen Konsequenzen des Ausgangs nachzusinnen, wollte ich ja eine andere Prognose wagen. Nämlich dass wir in Elista, wenn Kramnik 1.d4 vorgesetzt bekommt, die derzeit sehr heiße Moskauer Variante (1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 5.Lg5 h6) sehen werden, die kürzlich zwischen Radschabow und Anand im Mainzer Schnellschachmatch diskutiert wurde. Ein anderer Tipp ist, dass Kramnik, der ja mit der Najdorf-Variante weder als Weißer noch als Schwarzer zurecht kommt, vielleicht mal (nach 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6) 5.f3 aus dem Ärmel zaubert. Vielleicht schon in der ersten Partie, in der hat Kramnik nämlich Weiß. Wenn man sich Zoltan Vargas feine f3-Bilanz ansieht, fragt man sich, warum das auf höchstem Niveau noch nicht gespielt wurde. Auf 5...e5 setzt Weiß besser nicht mit 6.Lb5+ auf Trick wegen 6...Sbd7! (6...Ld7? 7.Lxd7+ Dxd7 8.Sf5 d5 9.Lg5! dxe4 10.Lxf6) 7.Sf5 d5! 8.exd5 a6 sondern mit 6.Sb3 Le6 7.c4 fort. Raumvorteil hat Kramnik als gelernter d4-Spieler ja ganz gerne. Na ja, ist nur so eine Ahnung. Eine ausführlichere Betrachtung zur Eröffnungswahl gibt es hier.

Die Sekundanten sind übrigens auf Kramniks Seite Illescas (wie gehabt), sein Nationalteamkollege Rubljewski und Motyljew, der als Trainer der Russen in Turin war. Topalow vertraut auf Tscheparinow (wie gehabt), Vallejo und Onischuk (vielleicht eine Überraschung für Kramnik).

Übertragen wird nicht nur offiziell sondern unter anderem auch für registrierte Mitglieder auf dem Chessbase-Server oder im ICC. Gespielt wird übrigens immer um 13 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Erste Zeitkontrolle um 17 Uhr, zweite Zeitkontrolle um 19 Uhr. Nach dem 60.Zug gibt es übrigens nicht eine halbe Stunde für den Rest sondern 15 Minuten zuzüglich vor jedem Zug 30 Sekunden. Der Terminkalender sieht jeweils zwei Spieltage und dann einen Tag Pause vor. Nur gegen Ende gibt es vor der elften und vor der zwölften Partie Ruhetage. Die zwölfte Partie ist am 10.Oktober, einem Dienstag. Steht´s 6:6 folgen vier Schnellpartien (25 Minuten plus 10 Sekunden vor jedem Zug). Gibt´s dann immer noch keinen Weltmeister, wird, Gott behüte, geblitzt.

* und wie ich gerade lese: Kasparow enthält sich.

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