Der Fuchs ist tot
Alexander Borisowitsch Roschal hatte vorgesorgt. Kurz bevor der Krebs den 70-Jährigen besiegte, hatte der alte Medienfuchs die richtigen Leute eingeweiht, wie es um ihn steht. Am Montag ist er gestorben, schon am gleichen Tag erschienen die ersten Nachrufe. An diesem Donnerstag bereits wird er in Moskau beigesetzt. Vorher und nachher wird dem in Russland legendären Schachjournalisten im Zentralschachklub am Gogol Boulevard gedacht.
Mit Anfang dreißig hatte er die beste Entscheidung seines Lebens getroffen: Er sattelte um vom mittelmäßigen Trainer zum Journalisten. Roschal überredete den damaligen Weltmeister Tigran Petrosjan, zusammen mit ihm eine Schachzeitschrit herauszugeben. "64" kam nicht so verstaubt daher wie die damals in der UdSSR bestehenden Titel. Bald wurden die Sportredaktionen der großen Tageszeitungen, des Radios und der Agentur TASS auf ihn aufmerksam. Roschals Stunde schlug, als nach Spasskis Niederlage in Reykjavik im sowjetischen Schach die Zeichen auf Erneuerung standen.
Besonders zugute kam ihm seine Beziehung zu Anatoli Karpow. Der neue Hoffnungsträger vertraute ihm, und als er, kurz nachdem er am grünen Tisch zu Fischers Nachfolger erklärt worden war, zu einem Turnier in Mailand eingeladen war, bestand er darauf, dass Roschal von der ersten Tournee des neuen Weltmeisters berichten und im Tross mitreisen sollte. Wenige Jahre später bastelte er als erster Biograf Karpows mit am Bild des linientreuen Sporthelden, der die Überlegenheit des sowjetischen Schachs nun verkörperte.
Obwohl er seinen Vater, der als "zionistischer Renegat" unter Stalin hingerichtet worden war, nie kennenlernte und seine Mutter erst mit neun Jahren, als er ihr in die Verbannung nach Kasachstan folgte, war Roschal ein treuer Anhänger des Systems geworden (was er gegenüber der "Newassimaja Gaseta" in einem bei Chesscafe nachgedruckten Artikel erklärte).
Als Journalist gab er sich nicht mit der Rolle des Beobachters und Kommentators zufrieden, sondern mischte in der Schachpolitik mit. Wobei er selbst später vor allem seine Rolle herausstrich, dass das zunächst geplatzte Kandidatenmatch 1983 zwischen Kasparow und Kortschnoi (also dem vorigen und späteren Erzrivalen Karpows) auf seine Vermittlung doch noch in London stattfinden konnte.
Er genoss und pflegte den Nimbus, besser informiert zu sein als andere. Beim New Yorker WM-Kampf 1990 habe ich ihn das erste Mal getroffen. Als die letzten Partien der ersten Matchhälfte zunehmend kürzer und spektakulärer remis endeten, war es Roschal, der das Gerücht eines geheimen Einverständnis zwischen Kasparow und Karpow streute.
Da ich kein Russisch und er nur wenig Englisch konnte, beschränkte sich unsere Beziehung weitgehend darauf, dass wir uns begrüßten und er mich in radebrechendem Englisch bat, meine Nominierung für den bevorstehenden Schachoskar (den er aus der Versenkung rettete, nachdem die spanischen Erfinder das Interesse verloren hatten) einzusenden. Vereinzelt habe ich ihn auch in offiziellen Positionen erlebt. So war er Pressechef der FIDE-WM 2001 in Moskau.
In den Neunzigerjahren war in Russland eine neue Zeit eingebrochen. Neue Leute kamen ans Ruder, neue Beziehungen waren zu knüpfen. Roschal Motto lautete: "Wo seid ihr, Oligarchen? Das Schach wartet auf euch. Eure Reputation wird vom Schach nicht leiden, höchstens umgekehrt." Noch bevor Kirsan Iljumschinow aus dem scheinbaren Nichts heraus im November 1995 als Retter der FIDE aufpoppte, war Roschal längst an ihm dran. Vielleicht stammte die Idee, den vermögenden Kalmücken auf den Präsidentenposten zu hieven, sogar von ihm. Jedenfalls zählte Iljumschinow Roschal weiter zu seinen Beratern, aber wahrscheinlich nicht oft genug, wie seine chaotische und für die Schachkultur zerstörerische Politik zeigte.
Auch als "64" Anfang der Neunzigerjahre kurzzeitig eingestellt wurde, zeigte sich Roschal wendig: Das Schachmagazin wurde als eine der ersten Zeitschriften privatisiert. Doch es kriegte auch journalistisch den Bogen. Schon im Perestroikajahr 1986 hatte Roschal in "64" als erster in Russland etwas von Nabokow veröffentlicht und sich damit noch einen schweren Rüffel eingefangen. Nachdem die Pflicht zur Verherrlichung des Kommunismus dann entfallen war, setzte Roschal auf Hintergründe und Debatten, was ein bisschen auch auf "Schach" abgefärbt hat. "Schach"-Redakteur Dirk Poldauf outet sich als Fan von Roschals Schreibe: "Er konnte mit der Sprache prächtig umgehen. Ein Wortakrobat vom Feinsten! Immer mit hintergründigem Humor!" Denen, die das Vergnügen hatten, Roschal lesen zu können, wird er fehlen.
Mit Anfang dreißig hatte er die beste Entscheidung seines Lebens getroffen: Er sattelte um vom mittelmäßigen Trainer zum Journalisten. Roschal überredete den damaligen Weltmeister Tigran Petrosjan, zusammen mit ihm eine Schachzeitschrit herauszugeben. "64" kam nicht so verstaubt daher wie die damals in der UdSSR bestehenden Titel. Bald wurden die Sportredaktionen der großen Tageszeitungen, des Radios und der Agentur TASS auf ihn aufmerksam. Roschals Stunde schlug, als nach Spasskis Niederlage in Reykjavik im sowjetischen Schach die Zeichen auf Erneuerung standen.
Besonders zugute kam ihm seine Beziehung zu Anatoli Karpow. Der neue Hoffnungsträger vertraute ihm, und als er, kurz nachdem er am grünen Tisch zu Fischers Nachfolger erklärt worden war, zu einem Turnier in Mailand eingeladen war, bestand er darauf, dass Roschal von der ersten Tournee des neuen Weltmeisters berichten und im Tross mitreisen sollte. Wenige Jahre später bastelte er als erster Biograf Karpows mit am Bild des linientreuen Sporthelden, der die Überlegenheit des sowjetischen Schachs nun verkörperte.
Obwohl er seinen Vater, der als "zionistischer Renegat" unter Stalin hingerichtet worden war, nie kennenlernte und seine Mutter erst mit neun Jahren, als er ihr in die Verbannung nach Kasachstan folgte, war Roschal ein treuer Anhänger des Systems geworden (was er gegenüber der "Newassimaja Gaseta" in einem bei Chesscafe nachgedruckten Artikel erklärte).
Als Journalist gab er sich nicht mit der Rolle des Beobachters und Kommentators zufrieden, sondern mischte in der Schachpolitik mit. Wobei er selbst später vor allem seine Rolle herausstrich, dass das zunächst geplatzte Kandidatenmatch 1983 zwischen Kasparow und Kortschnoi (also dem vorigen und späteren Erzrivalen Karpows) auf seine Vermittlung doch noch in London stattfinden konnte.
Er genoss und pflegte den Nimbus, besser informiert zu sein als andere. Beim New Yorker WM-Kampf 1990 habe ich ihn das erste Mal getroffen. Als die letzten Partien der ersten Matchhälfte zunehmend kürzer und spektakulärer remis endeten, war es Roschal, der das Gerücht eines geheimen Einverständnis zwischen Kasparow und Karpow streute.
Da ich kein Russisch und er nur wenig Englisch konnte, beschränkte sich unsere Beziehung weitgehend darauf, dass wir uns begrüßten und er mich in radebrechendem Englisch bat, meine Nominierung für den bevorstehenden Schachoskar (den er aus der Versenkung rettete, nachdem die spanischen Erfinder das Interesse verloren hatten) einzusenden. Vereinzelt habe ich ihn auch in offiziellen Positionen erlebt. So war er Pressechef der FIDE-WM 2001 in Moskau.
In den Neunzigerjahren war in Russland eine neue Zeit eingebrochen. Neue Leute kamen ans Ruder, neue Beziehungen waren zu knüpfen. Roschal Motto lautete: "Wo seid ihr, Oligarchen? Das Schach wartet auf euch. Eure Reputation wird vom Schach nicht leiden, höchstens umgekehrt." Noch bevor Kirsan Iljumschinow aus dem scheinbaren Nichts heraus im November 1995 als Retter der FIDE aufpoppte, war Roschal längst an ihm dran. Vielleicht stammte die Idee, den vermögenden Kalmücken auf den Präsidentenposten zu hieven, sogar von ihm. Jedenfalls zählte Iljumschinow Roschal weiter zu seinen Beratern, aber wahrscheinlich nicht oft genug, wie seine chaotische und für die Schachkultur zerstörerische Politik zeigte.
Auch als "64" Anfang der Neunzigerjahre kurzzeitig eingestellt wurde, zeigte sich Roschal wendig: Das Schachmagazin wurde als eine der ersten Zeitschriften privatisiert. Doch es kriegte auch journalistisch den Bogen. Schon im Perestroikajahr 1986 hatte Roschal in "64" als erster in Russland etwas von Nabokow veröffentlicht und sich damit noch einen schweren Rüffel eingefangen. Nachdem die Pflicht zur Verherrlichung des Kommunismus dann entfallen war, setzte Roschal auf Hintergründe und Debatten, was ein bisschen auch auf "Schach" abgefärbt hat. "Schach"-Redakteur Dirk Poldauf outet sich als Fan von Roschals Schreibe: "Er konnte mit der Sprache prächtig umgehen. Ein Wortakrobat vom Feinsten! Immer mit hintergründigem Humor!" Denen, die das Vergnügen hatten, Roschal lesen zu können, wird er fehlen.
schachblogger - 24. Mai, 12:27