Die WM-Bilanz

Es gab viel interessantes Schach in Mexiko City (was freilich noch getoppt worden wäre, hätten Topalow und Iwantschuk nicht gefehlt). Die Remisquote blieb unter zwei Drittel. Die Kurzremis beschränkten sich auf eine Handvoll Begegnungen. Das Turnier war ein würdiger Abschluss des ersten halbwegs vernünftigen WM-Zyklus (mit Weltcup und Kandidatenkämpfen als Qualifikation) seit Mitte der Neunziger. Schade, dass die WM nun wieder in Zweikämpfen entschieden wird, aber ich wiederhole mich und komme gleich zur Einzelkritik:

Anand 9/14 (+4, =10)
Ein weitgehend souveräner Sieg des gut vorbereiteten Inders, der auch mit Schwarz auf Gewinn spielte. Nur einmal nutzte er seine Chance nicht (gegen Morosewitsch). Nur einmal stand er verloren (gegen Grischtschuk), blieb aber zäh. Gegen die solidesten Gegner machte er je zwei Remis (wäre er als Weißer nicht auf 1.e4 fixiert, hätte er den Russisch-Spielern Kramnik und Gelfand zumindest Probleme bereiten können), holte dafür aber jeweils ein 1,5:0,5 gegen die vier Letztplatzierten. Auf den Lorbeeren ausruhen ist nicht. Baden-Baden will ihn spätestens Ende der Woche beim Europacup in der Türkei einsetzen.

Kramnik 8/14 (+3, =10, -1)
An der Vorbereitung lag es nicht, dass der Russe dieses Mal Anand nicht gefährden konnte, sondern an seiner Schicksalspartie mit Schwarz gegen Morosewitsch, in der er nach chancenreichem Eröffnungsverlauf auf Abwege geriet. Schon vorher hatte er gegen Grischtschuk einen halben Punkt verschenkt. Dass Kramnik risikofreudiger als bei seinen letzten Turnieren oder im Match gegen Topalow agierte, gibt Hoffnung auf einen interessantes WM-Duell mit Anand im kommenden Jahr. Den Rückfall, als er nach 13 Zügen gegen Grischtschuk remis gab und selbstgerecht erklärte, die Schlussstellung hätte Schwarz keine Chancen geboten, vergeben wir als Frustreaktion darauf, dass am Vortag gegen Anand nicht mehr als ein Remis herausschaute.

Gelfand 8/14 (+3, =10, -1)
Der Überraschungsmann des Turniers und das beste Ergebnis seiner Karriere. Die Grundlage leistete seine gute Vorbereitung. Auch seine Einstellung, „ich spiele eine Partie nach der anderen“, half, nicht an den Gesamtstand zu denken. Wie erwartet konnte der erfahrene Israeli zwar keinen der soliden Spitzenleute schlagen, machte aber viel aus seinen Chancen gegen die anderen und hätte ohne die vermeidbare Turmendspielniederlage gegen Grischtschuk Anand stärker fordern können, aber genau daran dachte er ja nicht...

Leko 7/14 (+2, =10, -2)
Dem Ungarn fehlte das Glück, um vorne mitzumischen. Er konnte weniger von seiner Vorbereitung profitieren wie die vor ihm Platzierten. Allein aus den beiden Partien gegen Aronjan hätte er einen Punkt mehr holen können. Lekos eigentlich wenige Fehler wurden bestraft. Gegen Kramnik rächte sich ein Gewinnversuch (f7-f6), als Zähigkeit angesagt war.

Swidler 6,5/14 (+1, =11, -2)
Fast das ganze Turnier über trug er die rote Laterne, war sieglos und klagte wiederholt, dass seine Gegner seine Vorbereitung durchkreuzt hatte, bis ihm Grischtschuk genau hinein lief und einen versöhnlichen Sprung auf den fünften Platz erlaubte.

Aronjan 6/14 (+2, =8, -4)
Ein ums andere Mal ist der Armenier seinen Gegnern in die Vorbereitung gelaufen. Als Einziger hat er mit Weiß verloren, und das gleich zweimal. Ohne Lekos Hilfe wäre er wohl Letzter geworden. Es war einfach nicht Aronjans Turnier.

Morosewitsch 6/14 (+3, =6, -5)
Sein Brett war fast immer für Überraschungen gut. Um Chancen zu kriegen, gab er auch seinen Gegner welche. Der Russe hat neben den drei Erstplatzierten die meisten Siege gesammelt (wobei der gegen Kramnik die Weichen für Anand stellte), allerdings auch die meisten Niederlagen kassiert.

Grischtschuk 5,5/14 (+2, =7, -5)
Anfangs hatte er eher das Glück des Kämpfers, dann wurde er zum Prügelknaben, der sich wie ein Patzer von der Straße vorgeführt fühlte. Am Ende verpasste er seine Chance, den Weltmeister zu schlagen, und lief Swidler vors Auto. Verdient hatte den letzten Platz keiner, aber einer muss es werden, und den Jüngsten hat es getroffen. Hoffentlich zieht er (und die Veranstalter von Spitzenturnieren) nicht die falschen Konsequenzen.

Eröffnungen
Anders als der Turnierbeginn andeutete, als es Weiß sehr schwer hatte, war der Anzugsvorteil in Mexiko einiges wert. Nur zwei von 56 Partien gingen an Schwarz. Mit 1.e4 und 1.d4 wurde etwa gleich gut gescort. Die mit Abstand beste Bilanz hatte aber 1.c4, was, wenn ich richtig gezählt habe, viermal aufs Brett kam und drei Siege und ein Remis einbrachte. Die 1.e4-Spieler haben sich an Russisch die Zähne ausgebissen. Gegen Spanisch gab es ein mittleres Plus, gegen Sizilianisch (was erst ab Runde neun aufschien) ein deutliches. Auch nach 1.d4 gab es nur eine zuverlässige Verteidigung, die allerdings ungleich riskanter als Russisch ist, nämlich die Moskauer Variante (1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 5.Lg5 h6), mit der Schwarz sogar ein leichtes Plus holte. Die Eröffnungsvorbereitung war meines Erachtens der Faktor, der den Unterschied zwischen den ersten drei und dem Rest des Feldes ausmachte.
dr.strangelove - 1. Okt, 10:27

Mal wieder eine kleine Korrektur...

...es ist gewiss der nicht Weltcup, sondern der Europacup in der Türkei gemeint ;-).

Ansonsten kann man zwar vermuten, dass es mit Topalow interessanter hätte werden können, aber in dieser Gewissheit würde ich es nicht formulieren - immerhin wirkte er auf den letzten Turnieren (Morelia-Linares, Sofia) doch etwas ausgebrannt, gerade, was den wichtigen Vorrat an Eröffnungsideen anbetraf. Wenn es ums Wünschen geht, könnte man sich mindestens ebensosehr Iwantschuk ins Turnier sehnen - aber man sollte doch nicht vergessen, dass die Qualifikationsmöglichkeiten innerhalb des Mexiko-Zykels erstmals seit langer Zeit umfassend und durch die Ebenen durch ausgespielt waren (wie die nachverhandelten Privilegien zeigen, konnten kramnik 6 Topalow damit offenbar nicht so gut leben).

Auch wenn man vielen Punkten zustimmen kann - dass z.B. Aronjan mit 16. g4 Gelfand in die Vorbereitung gelaufen ist, würde ich doch bezweifeln :-). Auch sonst machte er eher den Eindruck, mit einem nicht sehr tiefen Repertoire nach Mexiko gereist zu sein (gegen den Dameninder etwa nutzte er dann Gelfands Idee nach). Und Züge wie 36. h4 im Turmendspiel gegen Morosewitsch liegen auch nicht an schlechter Vorbereitung.

schachblaetter - 1. Okt, 21:57

Kein Wunder, dass das Teilnehmerfeld ganz interessant war, wurde es doch zu 5/8 durch Zweikämpfe ermittelt ;-)

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