Capablancas Todesstoß

Würde sich ein Verlag trauen, einen Musikroman von jemand übersetzen zu lassen, der keinen Schimmer von Musik hat, oder einen Kathy Reich-Krimi von jemand, der kein wenig mit dem Jargon von Polizei und Gerichtsmedizin vertraut ist? Wohl kaum. Im Fall von Schachromanen scheint es dagegen eher die Regel als die Ausnahme, dass ihre Übersetzerinnen im Dunkeln tappen, sobald unser Spiel auch nur in die Nähe der Handlung kommt. Was wiederum Rückschlüsse auf die Menschen in den Verlagen zulässt, Lektoren und Programmleiter, die solchen Unsinn beauftragen und in Wahrheit verantworten.

Über Unstimmigkeiten im beim Berlin Verlag erschienen "Zugzwang" von Ronan Bennett habe ich hier schon früher geschrieben. Das wird aber noch erheblich getoppt von zwei Büchern, die ich im Moment zur Rezension vorliegen habe. Dass die Rezensentin des Deutschlandradios den ihr formal zu strengen Roman "Die letzte Partie" von Fabio Stassi gerade Schachspielern ans Herz legt, ist Unfug. Gerade Schachspieler werden sich nämlich über die - ohne Übertreibung - Hunderte falsch übersetzter Stellen ärgern, die beim Zürcher Verlag Kein & Aber durchgewinkt wurden. Was ziemlich schade ist, denn wie Stassi im Leben von José Raul Capablanca die durch dessen Biografen gelassenen Leerstellen füllt, hat durchaus Charme, und überhaupt reklamiert der Italiener mehr Anspruch als etwa Bennetts Historienschmonzette.

In "Roderers Eröffnung" von Guillermo Martinez, das im März bei Eichborn erscheint, beschränkt sich das Schachliche und damit die Pein des schachvertrauten Lesers wenigstens aufs erste Kapitel. Nur wäre es in dem Fall weniger schade, wenn man das Buch danach vorzeitig weglegt. Aber das ist eine andere Geschichte...

PS: Bonaventura hat Stassi übrigens komplett verissen.
Schachblog rank zero - 15. Feb, 16:59

Geteiltes Leid

Wenn man wie Frau Dr. Maike Albath (Promotion über italienische Lyrik) vom Deutschlandfunk Stilblüten wie
die Psyche des Capablancas, die durch eine neutrale Erzählerstimme auf eine distanzierte und kühle Art und Weise in den Blick genommen wird
hervorbringt, sind solche Fehlurteile nicht verwunderlich. Die Seelenverwandtschaft mit dem völlig fachfremden und ahnungslosen, aber offenbar ähnlich schöngeistigen Übersetzer scheint groß.

Allerdings leiden nicht nur Schachspieler unter solchen katastrophal inkompetenten ÜbersetzerInnen. Das Buch von Donal O'Shea über die Poincaré-Vermutung [The Poincaré conjecture. In search of the shape of the universe, ISBN-13 978-0802715326] hat z.B. der S. Fischer Verlag leider auch Übersetzern gegeben, die absolut keine Ahnung von Mathematik hatten - und das merkt man an allen Stellen, wo es um Details geht (so sind praktisch alle Fachbegriffe falsch).

Das lässt sich aber wohl kaum vermeiden, wenn selbsternannte Wissenschaftsjournalisten sich über Gebiete auslassen, von denen sie wenig fachliche Ahnung haben. Es ist ja wohl auch schon mal jemand vor allem deshalb zur Sedimenttransport-Autorität ernannt worden, weil sein Sohn Schach spielt (https://schach.twoday.net/stories/5185516/).

schachblogger - 15. Feb, 19:51

Bei Mathe glaube ich Rankzero, aber sonst

Vorsicht. Selbsternannt ist jeder Journalist. Und mit einem Studium in Wissenschaftsforschung (also Soziologie, Geschichte und Philosophie der Wissenschaft) reklamiere ich eine bessere Grundlage zu haben als viele Kollegen, die nur Biologie, Geschichte oder Physik studiert haben.

Dass Sanjay Giri ein führender Experte zu Sedimenttransport in Flüssen ist, hätte Olaf Teschke, bevor er einfach mal das Gegenteil verkündet, durch eine Suche prüfen können, die ihn auf Veröffentlichungen in peer-reviewed Journals gebracht hätte. Den Fluß Kosi, um den es ging, kennt er, weil er ganz in der Nähe aufgewachsen ist. Und er hat über diese Überschwemmung einen Vortrag vor anderen Hydrologen gehalten. Ich würde wetten, dass achtzig Prozent der Expertenzitate in deutschen Medien weniger gerechtfertigt sind.
Schachblog rank zero - 15. Feb, 20:52

... wo besagter...

...auch nachgeschaut hat. Der Großteil der Literatur zur numerischen Behandlung von Fragestellungen aus der Strömungsmechanik (was auch, in etwas reduzierter Form, das Thema ist, um das es hier geht, s. z.B.

http://www.civil.hokudai.ac.jp/egpsee/alumni/abstracts/Sanjay.pdf )

geht nämlich auch über seinen Tisch. Daher weiß selbiger leider auch aus bitterer Erfahrung, dass zwischen peer-reviewed und peer-reviewed große Unterschiede bestehen können (zugegeben, eine Banalität).

(Wer nachschauen will, was es hier alles zur Simulation von Sedimentationsströmungen gibt:

http://www.zentralblatt-math.org/zmath/en/search/?q=%28cc%3A%2076%2A%29%20sediment%2A&first=1&count=100&format=complete ).

Ich habe hinterfragt, wie die Einstufung seitens des Schachbloggers als ``führend" (bzw. ``Autorität") zu Stande gekommen ist, und bin nach wie vor nicht überzeugt.

Den Vortrag hat Sanjay Giri m.W. an seiner eigenen Arbeitsstelle in Delft gehalten, es war also wohl eher eine Information seiner Kollegen über eine konkrete Gegend, zu der der er in der Tat einen geographischen Bezug hat.
Ich würde wetten, dass achtzig Prozent der Expertenzitate in deutschen Medien weniger gerechtfertigt sind.
Glaube ich gerne. Allerdings kann man m.E. sowieso mindestens 98% der Inhalte deutscher Medien vergessen, insofern scheint mir das keine hohe Messlatte.
Permanent_Brain - 16. Feb, 07:25

Strömungsmechanik(?!)

...und eine Diskussion darüber, wer in welchem Ausmaß als Experte dafür gelten kann, ist ein überraschendes Thema auf einem Schachblog. :-)

Für die Warnung vor dem Capablanca-Buch bin ich dankbar. Ziehen einige Übersetzer gar nicht in Betracht, daß es eine ausgeprägte Fachterminologie beim Schach gibt? Mir würden solche, insbesondere viele derartige Fehler das Lesevergnügen verderben.

Zwei oder drei kurze Beispiele dafür wären interessant.

Jedenfalls ein schwerer Fehler des Verlages, da logischerweise gerade Schachspieler einen großen Teil des Zielpublikums ausmachen. Diejenigen, welche das Buch daher in nächster Zeit geschenkt bekommen, müssen dann entweder schwindeln wenn nachgefragt wird wie es war, oder der oder die Schenkende wird auch enttäuscht.
schachblogger - 17. Feb, 10:58

Geduld bitte

Mit dem Rezensieren muss ich erst Geld verdienen. Die Blütenlese aus dem Übersetzungsmist muss also warten.

MiBu - 17. Feb, 13:48

...kein schachspezifisches Problem!

Sinnentstellende Fehler bei der Übersetzung oder schlecht recherchierte Fakten kommen in allen literarischen Genres (auch und vor allem beim Krimi) vor, warum sollte es beim Schach anders sein?! Drei willkürlich gewählte Beispiele: 1.Am Schauplatz eines Mordes werden eine Reihe von Patronenhülsen gefunden; als Tatwaffe ein Colt Smith&Wesson Kaliber .38 ermittelt. Revolver werfen aber keine Hülsen aus, die verbleiben in der Trommel. 2.Ein Selbstmord wird als Mord getarnt, denn bei "Selbstmord zahlt die Versicherung nicht!" In der Risiko-LV gibt es zwar eine Selbsttötungsklausel, aber die ist im Regelfall auf die ersten drei Jahre der Vertragsdauer beschränkt. 3.Eine der Hauptfiguren in "Der Herr der Fliegen" ist stark kurzsichtig und macht mit seinen Brillengläsern Feuer. Offenbar war William Golding der Unterschied zwischen Konvex- und Konkavlinsen nicht bekannt.

Lenfant - 17. Feb, 16:54

Faszinierend!

...wie sich eine Diskussion auf einem Schachblog (ist er doch noch!?) so entwickeln kann! Immer wieder lesenswert...

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