Das Tempogambit

Weil man im Schach nicht immer Schwarz hat und selbst dann nicht immer 1.e4 vorgesetzt bekommt, empfiehlt es sich, ein wenig Eröffnungswissen anzuhäufen. Weil aber auch die meisten Gegner allerhand kennen, lohnt es sich, ein paar Varianten reinzumischen, die selten und daher unbekannt sind aber besser, als sie aussehen. Sprich: die Gegner ein wenig zu überraschen.

Das New in Chess-Magazin, vielmehr dessen Mitarbeiter, der niederländische IM Jeroen Bosch, hat dazu vor Jahren eine bemerkenswerte Serie erfunden: Unter dem Titel „Secrets of Opening Surprises“, kurz SOS, stellt er Eröffnungen vor, die allerspätestens im sechsten Zug von den Hauptvarianten abweichen. Damit kann sogar ein eingefleischter 1.e4-Verweigerer 1.e4 spielen. Zum Beispiel gegen Französisch 1...e6 2.d4 d5 3.Ld3!? oder gegen Sizilianisch 1...c5 2.Sa3!?

Die Serie ist mittlerweile zu einer halbjährlich erscheinenden Buchserie ausgebaut worden, zu der weitere Autoren Beiträge liefern und die unter dem akronymkompatiblen Titel „Schach ohne Scheuklappen“ (144 Seiten, € 17,95 (D)) auch auf Deutsch vorliegt. Den gerade erschienenen fünften Band habe ich übersetzt. Los geht er mit einem Update aktueller Partien aus Varianten, die in den vorigen Bänden vorgestellt wurden. Den Anfang im neuen Band macht Karsten Müllers feiner Sieg gegen Rustem Dautow mit 1.e4 c6 2.Sf3 d5 3.exd5 cxd5 4.Se5!?, der gerade fast zur besten Partie der letzten deutschen Bundesligasaison gewählt worden ist.

Anschließend folgt eine Palette von 16 Kapiteln, die von obskuren Gambits wie 1.d4 e6 2.Sf3 f5 3.e4?! über das psychologisch geschickte Antidamenbauernspiel 1.d4 Sf6 2.Sf3 h6!? und halbseriöse Abweichungen wie 6.Df3!? gegen Najdorf (1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6) oder 6.Se5!? gegen Meraner (1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 e6 5.Sc3 Sbd7) bis zu wohl erprobten Ideen von Oleg Romanischin wie 1.Sf3 Sf6 2.c4 e6 3.g3 a6! 4.Lg2 b5 (bzw. 4.Sc3 d5) oder 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.De2 De7! reichen.

Ich habe nicht nur übersetzt sondern selbst ein Kapitelchen beigesteuert. Und zwar zu einem genau einmal erprobten Zug. Im Januar habe ich nämlich, ohne es am Brett zu wissen, im vierten Zug in einer Tausende Male vorgekommenen Stellung eine Neuerung gespielt:

Igors Rausis – Stefan Löffler, Zweite Bundesliga Nord 2005/6
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Dc2

Mit diesem Zug scort Weiß laut meiner Datenbank mehr als sechzig Prozent und damit besser als mit 4.e3 oder 4.Sc3. Gedanklich, aber ohne Brett und Computer, hatte ich mich damit einige Wochen zuvor während eines Opens im malaysischen Penang befasst, weil ich diese Variante vom philippinischen Großmeister Bong Villamayor erwartet hatte. Bong spielte an diesem Tag anders, aber die Idee kam mir zupass, als ich am Tag nach meiner Rückkehr aus Asien kurzfristig für die Kreuzberger Zweite einsprang.

4...c5!?
4-c5

Das „Tempoopfer“ vertritt die These, dass Weiß seine Dame in dieser Stellung lieber noch auf d1 hätte, ihm sein Mehrtempo also weniger als nichts nützt. Rausis wählte, was ich noch immer für die kritische Variante halte:

5.cxd5 cxd4 6.Da4+

Nur für Ausgleich gut scheint mir 6.Sxd4 Sxd5 7.e4 Sb4 8.Da4+ S8c6 9.Sxc6 Sxc6 10.Sc3 e6 11.Le3 Le7 12.Le2 0-0 13.0-0 Ld7 14.Tfd1 a6 15.Td2 Dc7 16.Dd1 Tfd8, Renet – Dlugy, Paris 1986.

6...Dd7 7.Dxd4 Sxd5!

Das geht hier im Unterschied zur Variante 1.d4 d5 2.c4 c5 3.cxd5 Sf6 4.Sf3 cxd4 5.Dxd4, wo Schwarz kaum 5...Sxd5 spielen kann wegen 6.e4, und daher die etwas schlechtere Stellung nach 5...Dxd5 6.Sc3 Dxd4 7.Sxd4 in Kauf nimmt.

8.Sc3

Auf 8.e4 scheint mir 8...Sc7 am sichersten.

8...e6! 9.Sxd5 exd5

Nach 9...Dxd5 10.Dxd5 exd5 hat Weiß nur einen Minivorteil.

10.e4! dxe4 11.Dxe4+ De6 12.Ld3

Der kritische Test scheint mir 12.Lb5+ Sc6 13.Dxe6+ Lxe6 14.0-0, aber 14...a6 15.Lxc6+ bxc6 16.Lf4 f6 17.Sd4 Ld5 sollte den Laden zusammenhalten.

12...Lb4+ 13.Ld2 Lxd2+ 14.Sxd2 0-0 15.0-0

...und statt nun mit 15...Dxe4? 16.Lxe4 Sd7 17.Tfc1 in ein trotz der symmetrischen Stellung schwieriges Endspiel zu gehen hätte ich das Gleichgewicht mit 15...Dh6 halten können. Nach 16.Tfe1 Sd7 17.Sb3 Sf6 18.Df3 Tb8 hätte sich die weiße Initiative erschöpft. Zum Glück habe ich die Partie trotzdem leicht gehalten - wohl auch, weil Rausis dank meiner unkonventionellen Eröffnung viel Bedenkzeit verbraten hat und später einmal nicht den Stärksten fand.

Ein Remis gegen einen fast hundert Elopunkte Stärkeren - das finde ich keine üble Premiere für das slawische Tempogambit 4...c5!?

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