Wo bleibt die Handygarderobe?

Eugene Varshavsky spielte kürzlich in Philadelphia das Turnier seines Lebens. Nominell ging er als einer der schwächsten Teilnehmer ins World Open. Als einer, der nicht den Hauch einer Chance hatte, von den 150 000 Dollar Preisgeld mitzunaschen. Doch Varshavsky fegte einen Meister nach dem anderen vom Brett. Nachdem er schließlich sogar keinen Geringeren als den israelischen Weltklassemann Ilja Smirin düpiert hatte, erwartete ihn vor der nächsten Runde ein Schiedsrichter. Varshavsky stimmte einer Leibesvisite zu, bat aber, vorher die Toilette benutzen zu dürfen. Vierzig Minuten und zahlreiche Spülvorgänge später kam er zurück. Seine Partie verlor er kurz und nahezu kampflos.

Immerhin durfte Varshavsky das World Open im Gegensatz zu Steve Rosenberg beenden. Rosenbergs angebliches Hörgerät hatte sich als ein drahtloser Empfänger namens „Phonito“ entpuppt. Das war zwar kein Beweis, dass er tatsächlich fremde Hilfe in Anspruch genommen hatte, doch zumindest ein Hilfsmittel, das durch die Regeln geahndet wurde.

Wenn Patzer auf einmal wie Meister agieren, stecken immer öfter elektronische Helfer dahinter. Eifrige Schiedsrichter sind schon auf Toilettenschüsseln geklettert, um zu überwachen, ob der Spieler im Häuschen daneben mit einem Handcomputer zugange war. Nun werden sie das wohl häufiger tun, und man wird wohl bei immer mehr Turnieren Metallschleusen sehen, wie man sie sonst vom Flughafen kennt. Denn nie war das elektronische Doping so leicht wie heute.

Shredder mobile, die neue Software von Stefan Meyer-Kahlen, macht aus dem Handy nämlich einen Weltklasseberater für die Hosentasche und ist seit Anfang September um 25 Euro zu haben. Mit dem üblichen Speicherplatz schafft das Handy zwar nur etwa das Niveau eines guten Klubspielers. Doch Meyer-Kahlen hat seiner Kreation ein unschlagbares Feature mitgegeben. Mit wenigen Tastendrucken erreicht man die auf einem schnellen Server laufende Vollversion von Shredder, dem mehrmaligen Computerweltmeister. Außerdem lassen sich auf diesem Weg Eröffnungsvarianten und die Endspieldatenbank bis maximal sechs Steine auf dem Brett abfragen.

Er habe dabei an Amateure gedacht, die nach ihrer Partie erfahren wollen, was sie falsch gemacht haben und nicht warten wollen, bis sie vor ihrem Computer sitzen, so Meyer-Kahlen. Die meisten Käufer werden nicht auf dumme Gedanken kommen, meint der Düsseldorfer, sondern in ihrem Handy einen jederzeit bereiten Spielpartner finden oder die mitgelieferten Schachaufgaben austüfteln: „Es gibt zwanzig Wege, Shredder mobile vernünftig zu nutzen, aber leider auch einen schlechten.“

Die FIDE-Regeln verbieten die Mitnahme möglicher Hilfsmittel, also auch Handys, in den Turniersaal. Praktikabel ist das eigentlich nur bei großen Turnieren. Die Auslegung beschränkt sich meist darauf, dass das Handyklingeln sanktioniert wird. Gründlichere Völker wie die bekanntlich nicht mit dem meisten Augenmaß gesegneten Germanen strafen Spieler mit Partieverlust und Zuschauer mit dem bösen Blick. Gleichbehandlung gilt in der Niederlande, wo in diesem Fall eine Spende in die Jugendkasse erwartet wird. Erst wenn der Klingelsünder nicht zahlt, droht dem Spieler eine Null, während der Zuschauer mit einem (allerdings dauerhaften) Saalverbot davon kommt.

Ist eigentlich mein drei Jahre alter Vorschlag, dass Veranstalter eine Art Handy-Garderobe einrichten, schon irgendwo aufgegriffen worden?
dr.strangelove - 21. Sep, 10:52

Chessbase & Friends

Geschickt gemachter Beitrag. Wenn man es nicht besser wüßte, könnte man denken, dass es tatsächlich um das Handyverbot geht und nicht um die gut verpackte Werbung für ein neues Produkt von Stefan M.-K.

Dennoch ein Wort zum angeblichen Thema:
Einzig die drastischen Maßnahmen gegen das Klingeln haben die Schachturniere zu den wenigen Zonen gemacht, wo man vor der Klingelbelästigung relativ sicher ist. Ich kenne sogar eine Reihe von Nichtschachspielern, die uns darum beneiden.

Gegen den elektronischen Betrug werden sich voraussichtlich im Laufe der Zeit Kleinjammer durchsetzen, die von den Schiris eingesetzt werden. Technisch ist das gar nicht so problematisch, die Funkabschirmung nach außen ist etwas diffizil und es gibt eine rechtliche Grauzone, aber mit dem steigenden Bedarf (z.B. auch bei Prüfungsklausuren in Abitur und Studium) wird sich das regeln.

Das dauernde Gejammer über angeblich zu harte Klingelstrafen kann ja fast nur von Journalisten kommen. Besonders abstrus wird es freilich, wenn damit - wie in diesem Blog - die Privatisierung der Bundesliga begründet werden soll.

blackburne - 23. Sep, 11:45

Handy

Ich bin froh, dass Handys beim Schachspiel ausgeschlossen werden, denn sie regieren ja schon den Alltag. Der schachblogger hat ja schon eigene Erfahrungen mit dieser Regel gemacht ;-), daher vielleicht der Unmut...
Dass deshalb die Germanen kein Augenmaß haben, können wir verschmerzen...
Ich finde diesen Blog übrigens sehr gut, denn man erfährt die Hintergründe von Schachereignissen aus Journalisten-und gleichzeitig Schachspielersicht, die Ergebnisse von Turnieren kann man ja woanders nachlesen.

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