Der Turnierfriede bleibt gewahrt

Vor der zehnten Runde hatte ich Radschabow noch gerügt für seine vielen frühen Remis. Gegen Smeets aber zauberte er ohne Rücksicht auf materielle Verluste. Am Ende war nur noch eine Frage, ob er die Zeitkontrolle schafft, und da passierte es: Mit Ausführung von 39.Te7 warf er den gegnerischen Läufer auf e8 um, drückte aber sofort die Uhr, weil er nur noch eine Sekunde hatte. Smeets forderte ihn darauf auf, den Läufer wieder aufzustellen, und drückte die Uhr Radschabows, der folgerichtig die Zeit überschritt.

Mit der Begründung, dass beide nicht richtig gehandelt haben, überredete das Schiedsgericht die Spieler in ein Remis als fairen Kompromiss einzuwilligen, berichtet Chessvibes. Da es sich nicht um einen offiziellen Wettbewerb handelt sondern um ein Einladungsturnier, hatten die Spieler praktisch keine Alternative als dem Drängen nachzugeben. Dem Turnierfrieden mag das zuträglich sein. Meinem Rechtsempfinden und Verständnis der Schachregeln entspricht es nicht.

Heute werden die meisten Turniere mit 30-Sekunden-Bonus gespielt. Da ist es kein Problem, dass ein Spieler umgeworfene Figuren auf die eigene Zeit aufstellen soll. Aber für einen Spieler, der nicht mindestens 30 Sekunden sondern nur noch eine Sekunde hat, die normalerweise reicht, einen trivialen Gewinnzug auszuführen (wie in Radschabow - Smeets), würde das quasi den Partieverlust bedeuten, denn er müsste innerhalb einer Sekunde eine nicht völlig gewohnte Situation verstehen (dass er eine Figur aufstellen muss), besagte Figur aufstellen, die Uhr drücken, nach dem Antwortzug den trivialen Gewinnzug ausführen und wieder die Uhr drücken - alles innerhalb einer Sekunde.

Hätte Smeets korrekt reklamiert, etwa durch Anhalten der Uhr, hätten die Schiedsrichter sehr wahrscheinlich auf eine Zeitgutschrift für Smeets entschieden. Die hätte ihm in seiner Lage aber nicht geholfen. Hätte der Niederländer die Gelassenheit besessen, "j´adoube" sagend seinen umgefallenen Läufer selbst wiederaufzustellen, hätte er sich damit zwar um die letzte Chance gebracht, eine Niederlage abzuwehren, doch ein Fairnesspreis wäre ihm zugestanden. Aber welcher junge Spieler weiß schon, unter hohem Stress und in kürzester Zeit so gentlemanlike zu handeln.

Aronjan dürfte mit nun einem halben Punkt Vorsprung vor Karjakin, der auch nur noch einmal Weiß hat, Platz eins nicht mehr zu nehmen sein. In der C-Gruppe ist Anish Giri nach sechs Remis und einer Niederlage mit zuletzt drei Siegen in Folge durchgestartet. Go, Anish!

Nachtrag 30.Januar: Chessvibes hat ein Video von der Pressekonferenz zum Vorfall Radschabow - Smeets und einige aus Abstand gemachte Bilder von der Zeitnot und der anschließenden Diskussion zwischen Spielern und Schiedsrichtern. Wenn ich den Schiedsrichter richtig verstanden habe, hatte Radschabow vor dem Turmzug, mit dem er den Läufer von Smeets umwarf, nicht wie hier berichtet eine Sekunde sondern sechs gegen zwei Sekunden bei Smeets. Sechs Sekunden hätten Radschabow gereicht, sowohl die Figur aufzubauen als auch seinen 40.Zug vor der Kontrolle zu schaffen - vorausgesetzt freilich, er hätte regelgemäß seine Chance dazu bekommen. Doch als Smeets ohne Zug die Uhr drückte, korrigierte Radschabow nicht die Stellung, sondern drückte die Uhr zurück, worauf wieder Smeets drückte und Radschabow schließlich in der Konfusion überschritt. Wie nach so vielen Unregelmäßigkeiten von beiden Spielern (und nachdem der am Brett stehende Schiedsrichter nicht allerspätestens nach dem beidseitigen zuglosen Uhrdrücken die Uhr angehalten hatte) die Schiedsrichter argumentieren können, dass Radschabow auf Zeit verloren hätte, wenn sich die Spieler nicht auf remis geeinigt hätten, ist mir schleierhaft.

PS: Radschabow hat sich in einem Interview in seiner Heimat mittlerweile verärgert über den verlorenen halben Punkt geäußert, dass Smeets die Figur zwischen e7 und e8 gestellt habe und auch unerlaubt auf ihn eingeredet habe.
Mauli123 - 29. Jan, 11:12

Soweit ich mich erinnere hat doch Radjabow selber in einer ähnlichen Zeitnot-Situation (gegen Iwantschuk) auch die Uhr zurückgedrückt (was auch absolut in Ordnung ist). Wieso hier, wo durch sein Verschulden die Zeit noch knapper war, anders "geurteilt" wird ist mir ein Rätsel.
Wieso werden die Leute, die ihre Zeit nicht einteilen können, immer beschützt?

schachblogger - 29. Jan, 12:01

Entscheiden sollte der Spielverlauf

Das war mir nicht bekannt. Die Uhr des Gegners ohne eigenen Zug zu drücken, ist nicht in Ordnung. Anhalten ist korrekt und bei einer Digitaluhr auch ohne weiteres möglich. Da der Schiedsrichter in Wijk aan Zee neben dem Brett steht, reicht es auch, diesen zum Eingreifen aufzufordern. Die dabei verlorene eigene Bedenkzeit kriegt man zurück.
In den Kommentaren bei Chessvibes (http://www.chessvibes.com/reports/aronian-grabs-sole-lead-in-10th-round-corus/#more-7587) zeigt sich, dass eine Mehrheit das salomonische Remis für falsch hält. Es gibt aber (für mich erschreckend) viele, die meinen, Radschabow hätte das Umwerfen der Figur halt die Partie kosten müssen. Pech, wenn er es nicht in der Bedenkzeit schafft. Es stimmt schon, dass ein Spieler für das Umwerfen der Figuren laut Regeln eine Zeitstrafe kriegen soll. Aber nur, wenn er dabei nicht die Zeit überschreitet. In dem Fall ist eine Zeitgutschrift für den Gegner angebracht.
Für die Liebhaber von Details zu beachten ist, dass Smeets den umgefallenen Läufer gerade erst nach e8 gezogen hat. Vielleicht wackelte er noch oder stand nicht in der Mitte des Feldes sondern eher Richtung e7, als Radschabow seinen Turm zog?
Sollte Radschabow gegen Iwantschuk von einer eigenen Unsportlichkeit profitiert haben, mag der verlorene halbe Punkt gegen Smeets moralisch in Ordnung sein. Es entspricht aber weder dem Spielverlauf noch den Regeln. Haben wir uns aufgrund so absurder Regeln wie dem Handyklingelverbot oder dem Unpünktlichkeitsverbot schon so daran gewöhnt, dass Partien nicht mehr durch die Züge entschieden werden sondern Umstände, die dem Spiel selbst fremd sind?
Nordlicht_70 - 29. Jan, 11:56

Glück für Radschabow

Dieser Fall ist doch in den FIDE-Regeln eindeutig geregelt.
"7.3 Wenn ein Spieler eine oder mehrere Figuren verschiebt, muss er die korrekte Stellung
auf Kosten seiner eigenen Zeit wieder aufbauen. Falls nötig hält der Spieler oder sein
Gegner die Uhren an und bittet den Schiedsrichter um Hilfe. Der Schiedsrichter darf den
Spieler, der die Figuren verschoben hat, bestrafen."
Auch wenn Smeets die Uhr anhält, muss ein herbeigerufener Schiri die Uhr von Radschabow in Gang setzen, damit er die Figur aufbauen kann/muss.
Ob man so etwas überhaupt reklamieren sollte, muss wohl jeder mit sich selbst abmachen.

Mauli123 - 29. Jan, 12:18

Ich verstehe immer noch nicht, wieso immer versucht wird die Spieler, die sich selbst (!!) in horrende Zeitnot bringen zu schützen. Fakt ist doch:
1.) Radjabow hat die gegnerische Figur umgeschmissen
2.) Er und nur er selber ist dafür verantwortlich wie er sich seine Zeit einteilt, wenn er auf der Suche nach einem Gewinnweg (den er ja anscheinend auch fand) das Risiko zu viel Zeit zu verbrauchen eingeht, wieso sollte man ihm dann im 39./40. Zug dieses Risiko wieder abnehmen? "Schade, du hast den Gewinnzug nicht mehr geschafft, aber verlieren sollst du nicht?!?"

Laut meinem Verständnis soll durch Artikel wie 10.2 (reklamieren von Remis in Zeitnot) grober unfug in Zeitnot verhindert werden (zB. unsportliches "über die Zeit heben"), es soll jedoch eben nicht dazu führen, dass Spieler ihre Zeit bis auf 1sec ablaufen lassen und dann von den Regeln aufgefangen werden.

Zeiteinteilung gehört nunmal zu einer Partie dazu!

P.S.: In dem Video von ChessVibes zur Partie gegen Iwantschuk sagt Radjabow selber, dass er die Uhr zurückgedrückt hat.
schachblogger - 29. Jan, 13:11

Entwertung einer Glanzpartie

Wie schon im vorigen Kommentar angemerkt, lege ich die Regeln so aus, dass eine Zeitstrafe nicht zu ZÜ führen darf. In den Laws of Chess ist zu lesen:
7.3 If a player displaces one or more pieces, he shall re-establish the correct position on his own time. If necessary, either the player or his opponent shall stop the clocks and ask for the arbiter`s assistance. The arbiter may penalise the player who displaced the pieces.
Nordlicht meint, dass diese Regel unabhängig davon gilt, ob ein Spieler die Zeit überschreitet, wenn er eine umgefallene Figur aufbauen und einen weiteren Zug schaffen muss. Das meine ich nicht. Von einer so weit gehenden Strafe wie dem Quasiverlust der Partie ist hier keine Rede. Und es ist deutlich, dass Smeets die Uhr nicht hätte drücken sondern sie nur hätte anhalten dürfen. Radschabow selbst hätte die Uhr sogar selbst anhalten dürfen.
Diese Strafen stehen dem Schiedsrichter zur Verfügung:
13.4 The arbiter can apply one or more of the following penalties:
warning,
increasing the remaining time of the opponent,
reducing the remaining time of the offending player,
declaring the game to be lost,
reducing the points scored in a game by the offending party,
increasing the points scored in a game by the opponent to the maximum available for that game,
expulsion from the event.

Ich glaube, dass nur die ersten beiden in dieser Situation in Frage kamen.

So oder so wird eine herrliche Opferpartie, wohl die Partie des Tages in Wijk aan Zee, nun durch diesen Vorfall überschattet und entwertet.
hiphappy - 29. Jan, 13:44

Das korrekte Ergebnis der Partie hätte 0-1 heißen müssen.

Smeets muß die Uhr anhalten, um den Schiedsrichter zu rufen. Dieser verwarnt Radschabow, setzt seine Uhr wieder in Gang, damit er den Läufer wieder aufstellt, um dann wieder die Uhr zu drücken.
Seinen 40. Zug hätte er nicht mehr innerhalb der Zeitkontrolle geschafft.

Ich weiß nicht, was es daran zu meckern gibt, das Radschabow nicht gewonnen hat, er hat einfach zu viel Zeit verbraucht.

Ansonsten können wir die Uhren ja auch einfach wieder abschaffen, dann ist die Gefahr, das solche tollen Partien durch die Zeit entschieden werden, gebannt.

Also: Fairnesspreis für Smeets (der sich rein sportlich und auch moralisch nicht auf das Remis hätte einlassen müssen).

Horstibus - 29. Jan, 14:21

Wer seinen Zug ausführt und dabei Figuren umstösst, also eine "unspielbare Position" hinterlässt, sollte nach meinem Verständnis schon damit rechnen müssen, dass der Gegner die Uhr drückt.

Mag sein, dass die Regeln anders sind, aber ansonsten müsste ein Spieler, der noch einen oder zwei Züge machen muss, also in komplexer Spielsituation, einfach nur ein paar (alle? ;--) Steine umwerfen und die Uhr drücken.
Nordlicht_70 - 30. Jan, 13:26

Hallo Schachblogger,

ich denke, dass du hier falsch liegst. Es geht nicht um ZEITSTRAFE sondern einfach darum, dass ein Spieler umgeworfene Figuren auf seine EIGENE ZEIT aufzubauen hat - nicht auf Zeit des Gegners und auch nicht bei angehaltener Uhr.
(
...Und diese Regel ist auch äußerst wichtig, da es sonst garantiert Profis geben würde, die in schwierigen Positionen wenn der Gegner wenig Zeit hat, (selbstverständlich nur aus Versehen) immer mal wieder Figuren umschmeißen würden....
)
Radschabow muss einfach - ganz ohne Strafe - die Figuren auf seine Zeit aufbauen. Das seine Zeiteinteilung dazu führt, dass er jetzt seinen letzten Zug (inklusive Aufbauen) nicht mehr in der vorgegebenen Zeit schafft, ist keine Unfairness des Gegners und kein böser Wille des Schiris sondern einzig ein Problem der schlechten Zeiteinteilung.

Wie bereits angedeutet, wenn ich eine Partie spiele und mein Gegner stößt beim Ziehen aus Versehen EINMAL EINE Figur um und drückt sofort die Uhr, weil er in Zeitnot ist, habe ich damit kein Problem. Ich kann sie auch selbst hinstellen - ein j'adoube vor mich hinmurmelnd. Und wenn mein Gegner mit diesem Zug gewinn - gut dann war er heute besser. Allerdings spiele ich nicht um Geld und bin (im Gegensatz zu Schachprofis) "nur meinem Gewissen" und nicht meiner Existenzsicherung beim Schach spielen verpflichtet. Bei Profis kann ich allgemein nur sagen: Wenn die Regeln die eigene Meinung unterstützen, sind sie meist sehr wohl bekannt! (Gott sei Dank gibt es immer wieder Ausnahmen - wie in dieser Partie.)
.t0mmy - 30. Jan, 11:00

Klarstellung

Beide haben falsch gehandelt:
- Smeets hat Radschabow angesprochen
- Radschabow hat die Zeit überschritten.
Beide äußern sich:
https://webcast.chessclub.com/blog/2009/01/29/the-upset-bishop/

Ich denke, das Ergebnis geht daher in Ordnung.

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